Der Giebichenstein

Seid ihr heile in Nienburg angekommen, kann es zum Giebichenstein – Niedersachsens größtem Findling – losgehen. Informationen zum Fahrradverleih hält das Portal der Stadt Nienburg bereit. Es geht etwa 9 km (ca. 25 Minuten) nach Osten. Kurz vor dem Ortseingang Stöckse seht ihr auf der rechten Straßenseite auch schon das Hinweisschild zum Giebichenstein. Es geht nochmal gut 500 m in den Wald hinein. Die Wege sind gut befestigt. Der 330 t schwere Findling liegt am linken Wegrand und ist eigentlich nicht zu übersehen.

Der Giebichenstein bei Stöckse. Der riesige Findling aus Granit kommt aus Skandinavien und wurde während der Saale-Kaltzeit mit den Eismassen hier abgesetzt.

Vom Eis der Saale-Kaltzeit wurde er hier zurückgelassen. Der Findling ist 7,5 m lang, 4,5 m breit und 2,75 m hoch, er steckt aber noch etwa 1 m im Boden ³. Der Giebichenstein ist ein Granit und sein Alter wird mit mindestens einer Milliarde Jahre angegeben ³. Da das Gestein nicht zu dem in der Umgebung passt, wird es Findling oder Erratischer Block (von errare = (herum)irren) genannt. Findlinge werden oft als Teiler einer Moräne abgelagert, die aus Blöcken, Kiesen und Sanden besteht, welche der Gletscher auf seinem Weg „eingesammelt“ hat (s. Zeichnung unten). Dabei nimmt er Gestein auf, das durch Verwitterung bereits locker ist oder es werden ganze Blöcke herausgebrochen, die an der Gletscherunterseite anfrieren. In diesem Fall war es Granit, der vor ca. 1 Milliarde Jahren im heutigen Skandinavien entstand.

Als das saalezeitliche Eis zu schmelzen begann, wurde die Moränenlandschaft freigelegt und begann durch Schmelzwasser und Wind zu erodieren. Dieser Findling ist quasi ein Überbleibsel einer solchen Moräne, die Ablagerungen um ihn herum wurden bereits erodiert – schließlich liegt er schon seit etwa 170.000 Jahren dort. So stellte der Findling fortan ein besonderes Geländemerkmal dar, bevor sich ein Baumbestand entwickelte.

Der Giebichenstein ist zwar schon ziemlich verwittert, aber an manchen Stellen erkennt man noch, dass es sich um einen Granit handelt: Feldspat, Quarz und Glimmer, die vergess‘ ich nimmer.

Die Norddeutsche Tiefebene besteht hauptsächlich aus quartärzeitlichen Ablagerungen. Die Gletscher der Kaltzeiten hinterließen Geschiebe (Moränen), Findlinge und Schmelzwassersande (s. Zeichnung unten). Dabei bewegte sich das Eis von Nord nach Süd, weshalb sich auch Granite und Gneise aus Skandinavien in den Ablagerungen finden. Geschiebe besteht quasi aus allen Korngrößen, da das Material durch den Gletscher nicht sortiert wird. Die Ablagerungsform wird auch als Till bezeichnet. Reine Schmelzwasserablagerungen sind in der Regel gut sortiert, da sie mit dem Wasser transportiert wurden.

Durch die genaue Analyse der Bestandteile des Geschiebes kann eine Bewegungsrichtung abgeleitet werden: Handelt es sich um silurische oder ordovizische Gesteine des Baltikums? Dann kam das Eis eher aus Nordosten. Sind Granite und Gneise aus Mittelschweden enthalten? Dann hat es sich von dort Richtung Süden bewegt. Die Bewegungsrichtung der Gletscher ist aber auch über Geländeformen der Moränenlandschaften wie Gletscherschrammen auf größeren Gesteinsflächen (z.B. im Ekkodalen auf Bornholm oder auf Fehmarn 4) oder Drumlins erforscht worden. Drumlins sind stromlinienförmige Gebilde aus Geschiebe, dessen Längsachse parallel zur Fließrichtung des Gletschers ausgerichtet ist.

Für Norddeutschland typische glaziale Ablagerungen. Nach Abb. 2 von Kiegel (2014) ².

Die obige Zeichnung zeigt eine für Norddeutschland typische glazial geprägte Landschaft. Während der letzten Kaltzeit (Weichsel, vor etwa 20.000 Jahren) lag der Giebichenstein schon eine ganze Zeit an seinem Platz. Während dieser Kaltzeit reichte das Eis allerdings nur bis etwa an die Südgrenze Schleswig Holsteins, sodass Südniedersachsen nicht erneut vom Eis überdeckt wurde, wohl aber arktischem Klima ausgesetzt war.
Als das Eis abschmolz, begann der Meeresspiegel zu steigen. Skandinavien fing aber langsam an sich zu heben, da die Last des 2-3 km dicken Eises nun fehlte. Dieses enorme Gewicht hatte zu vor dazu geführt, dass die 65-85 km ¹ mächtige Lithosphäre in den sich plastischen verhaltenden Mantel gedrückt wurde. Nach dem die Last abnahm, kehrte sich dieser Prozess um, was als (glaziale) isostatische Ausgleichsbewegung bezeichnet wird. Die Hebung findet immer noch mit Raten von einigen mm pro Jahr statt ¹.

Während der ausgehenden Weichsel-Kaltzeit begannen auch Menschen im heutigen Niedersachsen zu leben. Die Jäger und Sammler des Jungpaläolithikums (jüngere Altsteinzeit) vor etwa 15.000 Jahren schlugen neben dem Giebichenstein ihr Lager auf. Viele Bäume gab es hier zu dieser Zeit noch nicht. Die Landschaft glich eher den kargen Tundren des heutigen Sibiriens. Die Menschen waren damals auf der Jagd nach Rentieren, die hier auf der Nahrungssuche umherzogen, sodass auch die Jäger mit ihnen reisen mussten. Die Wände ihrer einfachen Zelte waren aus Leder und Tierfell und wurden am Rand mit Steinen beschwert, die bei einer Grabung in den 1960er Jahren am Giebichenstein gefunden wurden. Außerdem wurden viele Alltagsgegenstände in Form von Jagdwaffen und Werkzeugen gefunden 5.

Direkt neben dem Giebichenstein befindet sich ein Megalithgrab aus der Jungsteinzeit. Das Gestein ist ebenfalls Granit.

Der Giebichenstein blieb bei den Menschen beliebt: Direkt neben dem Findling könnt ihr das Teufelsbett, ein Megalithgrab (Großsteingrab) der Jungsteinzeit (Neolithikum), bestaunen. Vor etwa 6.000 Jahren wurden die ersten Bauern in Südniedersachsen sesshaft und errichteten diese Gräber 5. Folgt ihr dem Archäologischen Lehrpfad noch ein Stück nach Südosten, trefft ihr auf eine Hügelgrabanlage aus der Bronzezeit (ca. 2.000 v. Chr.).

Diese Tour könntet ihr auch als Wanderung zu Fuß unternehmen. Eine Wegstrecke würde knapp zwei Stunden dauern. Vom Campingplatz Drakenburg geht es theoretisch auch, jedoch gibt es dort meines Wissens nach keinen Fahrradverleih. Falls ihr doch einen Drahtesel organisieren könnt, wären es von Drakenburg aus 14 km (ca. 40 Minuten) bis zum Giebichenstein.


Literatur:

  1. Johansson J. M.; Davis, J- L.; Scherneck,H. G.; Milne G. A.; Vermeer M.; Mitrovica, J. X.; Bennett, R. A.; Jonsson, B.; Elgered, G.; Elósegui, P.; Koivula, H.; Poutanen, M.; Rönnäng,B. O. and Shapiro, I. I. (2002): Continuous GPS measurements of postglacial adjustment in Fennoscandia 1. Geodetic results. (Journal of Geophysical Research, Bd. 107; pp. 3-27).
  2. Kiegel, H. (2014):  Das Norddeutsche Tiefland – eiszeitlich geprägt. (Diercke Drei – aktuelle Ausgabe Universalatlas mit Arbeitsheft Kartenarbeit, p. 55; Westermann-Verlag).
  3. Look, E.-R.; Meyer, K.-D. (2017): Der Giebichenstein – Der größte Findling Niedersachsens. (Hrsg.: Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie. Hannover) Online aufgerufen im April 2017.
  4. Seifert, G. (1952): Gletscherschrammen auf Fehmarn (Schleswig-Holstein). (Naturwissenschaften Bd. 39/23); Kurze Originalmitteilungen; p. 551).
  5. Infotafeln am Giebichenstein und am Megalithgrab „Teufelsbett“

 

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