Steinige Legenden in Polle

Die nächste Etappe (22 km) führt euch in den kleinen Ort Polle. Der Campingplatz befindet sich etwa 500 m hinter der Fähre am linken Weserufer. Nachdem ihr angekommen seid und euch eingerichtet habt, lohnt sich ein kleiner Spaziergang zur Burgruine. Ihr habt sie wahrscheinlich schon vom Wasser aus gesehen. Keine Angst vor dem Kassenhäuschen! Der Eintritt kostet euch nur einen Euro.

Auf Muschelkalk gegründete Grafen-Residenz

Vom Campingplatz sind es nur ein paar Schritte zu der kleinen Erhebung aus Muschelkalk, auf der die Burg um 1200 erbaut wurde. Zum Teil wurde dieses Gestein aus der Umgebung für den Bau der Burgmauern im verwendet. Der Bergfried bspw. besteht aus dem roten Buntsandstein. Bis ins 15. Jhd. diente die Burg den Eversteiner Grafen als Sitz, danach fiel sie an die Welfen. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Burg von kaiserlichen Truppen belagert und geplündert. Im Jahre 1641 zerstörten die Schweden die Burg, nahmen sie aber nicht ein. In den 1980er Jahren wurde die Burg restauriert, sodass dort nun verschiedene Feste und Aufführungen stattfinden können. Der Kassenschlager ist das Märchen „Aschenputtel“, mit dem Polle 1995 seine offizielle Zugehörigkeit zur Deutschen Märchenstraße erlangte. Seither ist Polle die neu gedichtete Heimat des Aschenputtels – quasi eine 90er-Jahre Version von Fanfiction.

Der Muschelkalk an der Burg gehört, wie am Ziegenberg, zum Unteren Muschelkalk. Die kleine Erhebung, auf der die Burg steht, ist aus Wellenkalk aufgebaut, der durch einen dickbankigen Leithorizont (Vgl. vorheriges Kapitel) durchzogen ist 5. Durch die Bebauung ringsum kann man den Muschelkalk an den Hängen der Erhebung nicht mehr erkennen. Innerhalb der Burg aber schaut an manchen Stellen der Wellenkalk hervor, so wie an dieser Treppe.

Anstehender Muschelkalk unterhalb einer Mauer in der Burg Polle.

Es fällt auf, dass die Flächen der Bänke eine ganz andere Orientierung haben als am Ziegenberg, wo sie mehr oder weniger horizontal erschienen. Hier ist deutlich zu erkennen, dass die Bänke schräg stehen. Dies geschah durch tektonische Vorgänge, die die Gesteine des Muschelkalks heraushoben, sodass sie heute als Höhenzüge auftreten. Bedeutende Hebungen des Norddeutschen Beckens, in dem der Muschelkalk abgelagert wurde, fanden in der Oberkreide-Zeit statt 2.

Die fehlende Schrägstellung der Bänke am Ziegenberg bedeutet allerdings nicht, dass diese Vorgänge dort nicht stattgefunden haben. Vermutlich lagern die Bänke nur scheinbar horizontal, da der Anschnitt des Weges entsprechend angelegt ist. Die Orientierung kann sich aber lokal auch unterscheiden, da die tektonischen Vorgänge ein komplexes System aus Auf- und Abschiebungen bildeten. Betzer et al. (2003) verfassten in ihrem Werk ein Kapitel zur Tektonik der Region, das einen guten Überblick gibt.

Oberhalb des Wellenkalks seht ihr Mauerwerk, das aus grauen Steinquadern gebaut wurde. Sie sind viel grobkörniger als der Wellenkalk und es ist möglich, dass sie aus einem der Härtlinge bestehen, die im Unteren Muschelkalk vorkommen. Sie erreichen in der Region Mächtigkeiten von 5 – 10 Metern 4, eventuell war ein solches Vorkommen in früheren Zeiten abbauwürdig.

Wanderung zur Steinmühle

Seid ihr begeisterte Wanderer? Dann ist der folgende Rundweg genau das Richtige für euch! Ihr solltet euch dafür allerdings einen Tag Zeit nehmen. Der Weg führt zunächst entlang der B83 und biegt bei Brevörde auf den westlich der Weser gelegenen Höhenzug ab. Von dort geht es weiter Richtung Steinmühle und wieder zurück auf der B83 nach Polle. Für die reine Strecke benötigt ihr ungefähr 3,5 Stunden (ca. 16 km).

Auf dem Campingplatz könnt ihr euch aber auch ein Fahrrad leihen, dann seid ihr mit etwa 1,5 Stunden deutlich schneller. Jedoch ist der Abstieg von den Klippen an der Steinmühle zurück zur Bundesstraße schmal und mit Treppenstufen befestigt. Seid ihr geschickt, könnt ihr das Rad tragen/schieben oder ihr bleibt einfach auf der B83. Der Bus 520 Richtung Hameln fährt in Polle an der Haltestelle „Unter der Burg“ stündlich ab und hält nach wenigen Minuten in Brevörde und an der Steinmühle, sodass ihr auch auf diesem Weg zu den Aufschlüssen kommen könnt.

Keuper: Mehrere Millionen Jahre heiß und trocken

Zunächst unternehmt ihr einen „kleinen“ Zeitsprung von der Mittleren Trias (Muschelkalk) in die Obere Trias (Keuper). Der erste Aufschluss ist eine Steilwand aus farbenfrohen Ablagerungen des Mittleren Keupers (vor ca. 220 Mio. Jahren). Mit Beginn des Keupers führten leichte Hebungen des Norddeutschen Beckens dazu, dass es flacher wurde. Große Deltasysteme brachten Sedimente aus Nordosten vom Baltischen Schild heran. Die Verbindung zum Tethys-Ozean wurde durch die Hebungen gekappt, sodass sich ein flaches Binnenmeer ausbildete 2. Die Lebensbedingungen wurden langsam ungemütlich:

Im Mittleren Keuper war der Salzgehalt dieses Binnenmeeres sehr hoch, da ein arides Klima vorherrschte. Außerdem setzten sich, bedingt durch die hohen Verdunstungsraten, auch Anhydrit und Gips ab (Gipskeuper). Aus Nordosten kam allerdings immer mehr Sediment nach, sodass sich grobkörnigere Sande in verzweigten Rinnensystemen ablagerten4. Anschließend beruhigten sich die Bedingungen wieder und ein ähnliches Sediment wie zur Zeit des Gips-Keupers trat auf: Die sog. Rote Wand aus tonigem Material, aus Mergeltonsteine und Resten von Gipslagen. Danach nahm die Wasserzufuhr wieder leicht zu, was durch abnehmende Gipseinschaltungen dokumentiert ist. Es setzte sich hauptsächlich Es setzte sich hauptsächlich Tonmergel ab (Steinmergelkeuper), der heute in braun bis braun-grauen Farben zu erkennen ist².

Die zwei jüngeren Abschnitte des Mittleren Keupers seht ihr nun in diesem Aufschluss: Die Rote Wand und im Hangenden den Steinmergelkeuper.

Foto (links) und Zeichnung (rechts) des Aufschlusses an der B83 bei Polle. Zu sehen sind Ablagerungen aus dem Mittleren Keuper: Die sog. Rote Wand und der Steinmergelkeuper.

Gut zu erkennen sind die hellgrauen bis weißen Bänder innerhalb des kalkfreien ziegelroten Tonsteins. Sie sind sehr weich und staubig, man kann einfach mit den Fingern ein wenig Material abreiben. Hierbei handelt es sich um Rückstände von Gips und Calcit. Diese Evaporite werden in einem Becken, aus dem mehr Wasser verdunstet als zugeführt wird, in einer bestimmten Reihenfolge ausgeschieden (Salinarzyklus). Zum Teil sind in der weißen Bänderung stark kalkhaltige, dolomitische Anteile enthalten, die grünlich erscheinen.

Vereinfachter Salinarzyklus. Nach Tab. 6.2 aus Bahlburg & Breitkreuz (2008)1 .

Dieser Zyklus kann sich, in Abhängigkeit von der Wasserzufuhr, auch wiederholen. So ist es hier im Mittleren Keuper wohl geschehen: Der Gips wurde abgeschieden und die Abfolge nicht weiter fortgesetzt und stattdessen kamen die feinkörnigen Sedimente der Roten Wand zurück. Die Lagune verlor erneut ihre Wasserzufuhr, es bilde sich wieder Gips usw. Es sind 14 Gips-Bänder zu erkennen (siehe Aufschlusszeichnung oben), wobei sie insbesondere im zentralen Teil des Aufschlusses schwer zu trennen sind. Im Bereich des Übergangs zum Steinmergelkeuper treten ebenfalls Gips-Bänder auf, werden im Verlauf dieser Abfolge jedoch weniger bzw. verschwinden ganz ². Das Hauptgestein des Steinmergelkeupers ist ein garu-brauner Tonmergelsetin. Bedeutende Evaporitvorkommen in Norddeutschland sind die Salze des Zechsteins (ca. 257 bis 251 Mio. Jahre v. heute). Sie bestehen Hauptsächlich aus Gips und Steinsalz (Kochsalz), weshalb sie schon im Mittelalter abgebaut wurden. Sie erreichen Mächtigkeiten von bis zu 2000 m 1. Die Gips-Bändchen im Aufschluss sind im Vergleich also wirklich winzig.

Zurück in die Vergangenheit

Hang aus Gesteinen des Oberen Muschelkalks zwischen Polle und Brevörde.

Als nächstes geht es kurz vor Brevörde links von der Bundesstraße in eine kleine Auffahrt, die sich zwischen den Mauern an der Straße befindet. Bitte lauft die Auffahrt nicht hinauf, da es Privatgelände ist. Ihr befindet euch wieder im Muschelkalk. Den Wellenkalk des Unteren Muschelkalks, der in einem warmen Flachmeer entstand, habt ihr ja schon gesehen. Im Mittleren Muschelkalk traten dann ähnliche Bedingungen auf wie im eben beschriebenen Keuper. Das Meer übersalzte, da der Austausch mit dem Tethys-Ozean eingeschränkt bzw. nicht vorhanden war. Stellenweise wurden auch Evaporite gebildet, rote Tonsteine wurden nur am Rand des Beckens abgesetzt2.

Im Oberen Muschelkalk kam das Meer wieder zurück und bot angenehme Lebensbedingungen für Lebewesen wie Seelilien (Crinoiden), frühe Formen von Ammoniten (Ceratiten) und auch außergewöhnlichere Bewohner konnten gefunden werden wie z.B. Pfeilschwanzkrebse (Limulidae)3.

Frischer Anschlag des Oberen Muschelkalk.

Die Steilwand, vor der ihr steht, gehört zum Oberen Muschelkalk; genauer zur Oberen Hauptmuschelkalk-Formation (abgekürzt mo2) 5. Diese Formation ist dickbankiger als der Wellenkalk und sehr hart. Wenn man das Gestein anschlägt, offenbart sich, dass die gelblich-braune Farbe durch Verwitterung verursacht wurde. Im „Inneren“ ist die Farbe eher grau bis dunkelgrau. Es sind kleine Kristalle zu erkennen, die auf eine Kluftfüllung aus Calcit hindeuten.

Dier mo2-Horizont ist zwar nicht so fossilienreich wie die Ceratitenschichten im Liegenden, aber es finden sich durchaus auch Wühlspuren in typischer U-Form. Sie wurden von Lebewesen wie kleinen Krebsen hinterlassen, die auf und in den oberen Zentimetern des Sediments lebten.

Fossile Wühlspur im Oberen Muschelkalk.

Der Teufel steckt im Detail – Die Legende um die Steinmühle

Wie auch immer ihr nun zur Steinmühle gekommen seid, die Steilwand aus dem hellen Muschelkalk ist beeindruckend. Der Abstieg bzw. Aufstieg, der zwischen Haupthaus und Schuppen der Steinmühle endet/beginnt, ist zwar kurz, aber schön. Ihr seht es wahrscheinlich schon: Es steht Wellenkalk an. Hier könnt ihr zudem aber noch einen der grobkörnigeren

An der Steinmühle: Im Hangenden des Wellenkalks befindet sich die Oolithbank. Sie hebt sich durch ihre dickere Bankung deutlich vom Wellenkalk ab.

Härtlinge sehen (Vgl. Kapitel Höxter), der sich gut von den sehr feinen Bänken des Wellenkalks abhebt. Es handelt sich um den unteren Leithorizont, die Oolithbank5.

Wollt ihr euch stärken, bevor ihr den Rückweg nach Polle antretet, könnt ihr das im urigen Antik-Café mit Trödelladen an der Steinmühle tun und vielleicht noch die ein oder andere Kostbarkeit erstehen. Die Steinmühle heißt auch Teufelsmühle. Der Legende nach hatten ein Müller und ein Bäcker (beide sollen Riesen gewesen sein) ein Tauschgeschäft miteinander: Der Bäcker durfte beim Müller mahlen und der Müller beim Bäcker backen. Nachdem der Bäcker den Müller aber enttäuscht hatte, kündigte Letzterer den Vertrag auf. Der Bäcker war darüber so erbost, dass er den Teufel zu Hilfe rief, der mit seiner Lanze ein Loch vom Teufelsteich auf dem Höhenzug bis zur heutigen Steinmühle stach. So entstand die sprudelnde Quelle, die das Mühlrad für die neue, eigene Mühle des Bäckers antreiben sollte. Heute ist die Mühle nicht mehr in Betrieb, sie soll aber bereits im Hochmittelalter genutzt worden sein. In der Wikipedia findet ihr ein Bild der Steinmühle aus dem 19. Jahrhundert. So sähe die Gegend ohne Uferbefestigungen aus. Und hier nun die unromantische, wissenschaftliche Auflösung der Legende um die Entstehung der Quelle: Karstgebiete treten häufig in Bereichen mit Kalksteine auf. Oberflächenwasser und Grundwasser dringt in schon bestehende Klüfte ein und löst auf Dauer den Kalkstein, sodass sich Lösungsspalten oder ganze Höhlensysteme ausbilden. Diese Korrosion wird u.a. durch die Kohlensäureverwitterung verursacht.

  1. Wasser und darin gelöstes CO2 reagieren zu Kohlensäure: H2O + CO2 -> H2CO3
  2. Kohlensäure reagiert mir Kalziumkarbonat (Kalkstein) zu Kalziumhydrogenkarbonat: H2CO3 + CaCO3 -> Ca2+ + 2HCO3
  3. Zusammengefügt: CO2 + H2O + CaCO3 = Ca2+ + 2HCO3

Die Reaktion c) kann in beide Richtungen ablaufen, d.h. Kalk kann aus gesättigten Lösungen auch ausfällen und z.B. Tropfsteine bilden 1. Die Mischungskorrosion spielt eine große Rolle bei der Frage, weshalb sich die Karsthöhlen im Untergrund eine große Ausdehnung besitzen können. Bis das Wasser von der Oberfläche dorthin gelangt ist hat es schon Kalziumkarbonat (CaCO3) gelöst, sodass es eigentlich nicht viel neues CaCO3 in Lösung bringen kann, bevor die Lösung übersättigt ist und es ausfällt. Werden jedoch zwei Wasserkörper (z.B. „frisches“ Wasser und welches, das schon länger im Untergrund verweilt) mit unterschiedlichen CaCO3 Konzentrationen und Temperaturen gemischt, wird weiteres Lösungspotenzial frei 6.

Ein (kleineres) Karstsystem wäre eine plausible Erklärung für die Quelle, die „plötzlich“ auftrat und das Mühlrad antreiben konnte. Mittlerweile sprudelt die Quelle nicht mehr, was wahrscheinlich daran liegt, dass sich das Wasser einen neuen Weg durch den Untergrund gesucht hat und nun an einer anderen Stelle austritt.


Literatur:

  1. Bahlburg, H. & Breitkreuz, C. (2008): Grundlagen der Geologie (3. Auflage, Spektrum-Verlag)
  2. Betzer, H.-J. et al. (2003): Geologie im Weser- und Osnabrücker Bergland. (Hrsg.: Geologischer Dienst NRW, Krefeld.)
  3. Krause, T.; Hauschke, N.; Wilde, V. (2009): Ein Limulide aus den Gelben Basisschichten des
    Oberen Muschelkalks von Ohrdruf bei Gotha (Thüringen). (Geowissenschaftliche Mitteilungen von Thüringen, Bd. 13; pp. 163–168)
  4. Krus, H.-D. (1987): Die „Brakeler Muschelkalkschwelle“
    Das Werden und Wesen einer Landschaft aus geologischer Sicht. (in: Egge – Weser : vereinsinterne Veröffentlichungen des Naturkundlichen Vereins Egge – Weser, Sitz Brakel; pp. 21-42) Online 
  5. Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (1999): Geologische Karte von Niedersachsen 1:25.000, abgerufen über den NIBIS®-Kartenserver im April 2017.
  6. Spektrum Akademischer Verlag (2001): Lexikon der Geographie: Lösungsvorgänge. Online aufgerufen im April 2017.

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