Das Sehestedter Außendeichsmoor

Wenn ihr etwas mehr Zeit und zusätzlichen Sportsgeist mitbringt, solltest ihr die Gelegenheit nutzen und dem Sehestedter Außendeichmoor einen Besuch abstatten. Mit dem Fahrrad ist es von Brake (Campingplatz Harriersand) eine gute Stunde entfernt und vom Campingplatz Nordenham geht es sogar noch etwas schneller (ca. 50 Min.). Informationen zum Fahrradverleih in Brake und Nordenham findet ihr beim jeweiligen Touristikzentrum und die Route ist auf der Karte grün eingezeichnet. Auf dem Weg könnt ihr euch außerdem die Marschlandschaft noch einmal genauer anschauen. Das Moor ist Naturschutzgebiet, also bleibt bitte auf dem angelegten Bohlenweg.

Das Moor von Sehestedt liegt, wie der Name schon verrät, außendeichs und kommt manchmal auch in Kontakt mit dem Meerwasser des Jadebusens. Während der regulären Gezeiten passiert dies nicht. Steigt der Wasserstand während einer Sturmflut jedoch auf etwa +3,5 m NN, werden die vorgelagerten Salzwiesen überflutet und die Wellen erreichen das Moor ². Dabei kann es vorkommen, dass ein Teil des Moorkörpers aufschwimmt. Mit diesen Eigenschaften ist das Moor einzigartig in Europa und stellt ein besonders Naturdenkmal dar ².

Aber wie funktioniert nun das Aufschwimmen?

Das Sehestedter Moor wird dem Oberen Torf (siehe vorletzter Abschnitt) zugeordnet und weist den Wechsel zum Hochmoor auf. Es besteht also aus einem Niedermoorhorizont (Bruchwald- und Schilftorf) und im Hangenden befindet sich der Hochmoortorf. Dieser Wechsel in der Vegetation stellt eine natürliche Schwächezone dar, da die Pflanzen des Hochmoores eher flach wurzeln und es somit nicht mit dem Niedermoorhorizont „verwachsen“ ist. Zudem ist der Hochmoortorf regen-, also süßwassergesättigt, was ein Aufschwimmen im salzigeren Meerwasser begünstigt. Ein wichtiger Umstand ist außerdem, dass das Moor an seiner Seeseite ein etwa 2 m hohes Kliff ausbildet, welches es sehr angreifbar für die Wellenbewegungen einer Sturmflut macht ².

Schematischer Querschnitt durch das Sehestedter Außendeichsmoor und der Vorgang des Aufschwimmens. Aus Behre & Kuçan (1999) ¹ und Behre (2005) ².

Wie im oben im Bild zu sehen ist, bildet sich während des Aufschwimmens ein Zwischenraum innerhalb des Moores, sodass auch hier Meerwasser eindringen kann. Dies ermöglicht, dass das Moor für ein weiteres Phänomen bekannt ist: den sog. „Klappklei“. Dabei handelt es sich um eine Ablagerung aus Schlick, die sich zwischen dem Niedermoor- und dem Hochmoorhorizont befindet. Das Meerwasser führt feinkörnige Sedimente (Silt bis Ton) mit, die sich in diesem Zwischenraum absetzt. Wenn der Wasserstand wieder ein normales Niveau erreicht hat, „klappt“ der Moorkörper wieder zu und das Sediment verbleibt an seinem neuen Platz ¹. Klei ist eine Bezeichnung für Schlick- und Marschensedimente und leitet sich vermutlich vom niederdeutschen Wort für kleben ab. Wer schon mal eine Wattwanderung mitgemacht hat, weiß wie Schlick an den Füßen kleben bleibt.

Der Klappklei in Sehestedt erreicht bis zu 30 cm Mächtigkeit und mittels Pollenanalyse konnte außerdem nachgewiesen werden, dass der Klappklei jünger als der umliegende Torf ist und somit sekundär eingetragen wurde ¹. Zum Beispiel waren Pollen der Kornblume (Centaurea cyanus) und des Roggens (Secale) in Proben aus dem Klappklei enthalten, die aber zur Zeit der Torfbildung noch gar nicht in der Region vorkamen – sie wurden erst im Mittelalter durch den Menschen (Ackerbau) in das Gebiet gebracht. Auch in anderen Regionen der Nordseeküste konnte Klappklei entdeckt werden, so beispielsweise am Dollart ². Am Jadebusen findet sich diese Ansprache ebenfalls in den Bohrarchiven, jedoch ist hier nicht eindeutig geklärt, ob es sich immer um eine sekundäre Bildung im Sinne eines Klappkleis handelt ³.

Das Aufschwimmen des Sehestedter Moores schütze erstaunlich gut gegen Sturmfluten. Bis Anfang des 20. Jhd. war es noch bebaut, ein Fachwerkhaus beherbergte Menschen und Tiere. Die Sturmflut von 1906, bei der in Dangast ein Pegel von +5,5 m NN gemessen wurde, überstand es dank des Moores. Zwei Jahre später wurde es jedoch durch einen Blitzeinschlag zerstört ².

Heute befindet sich nur eine Schutzhütte im Moor, von wo aus ihr in Richtung Kliff schauen könnt. Dort werden euch sicher die sog. Dargen auffallen – Bruchstücke, die von der Torfkante abgerissen wurden (auch im obigen Bild eingezeichnet). Ihr könnt sie sogar sehen, wenn ihr auf der Karte die Satelliten-Ansicht wählt und so nah zoomt, dass ihr auch die Schutzhütte erkennen könnt. Diese Dargen zeugen davon, dass das Moor immer weiter verkleinert wird, wenn es von den Wellen angegriffen wird. Seit Anfang des 18. Jhd. büßte es gut 1 km² seiner Fläche ein ².

In seinem Buch von 2005 hat K.-E. Behre einige Beschreibungen gesammelt, die von abreißenden Dargen anderer Moorlandschaften aus früheren Zeiten handeln. Eine stammt von Plinius dem Älteren (23 – 79 n. Chr.), der sogar Eichen erblickt, die mit den Dargen an der Ostfriesischen Küste davongetragen werden und wie die Takelage eines Segelschiffs anmuten. Besonders dramatisch ist die Schilderung von Ubbo Emmius aus dem Jahre 1509: An der Küste des Dollart schwammen Dargen samt Menschen und Vieh auf das Meer hinaus, die sich aber wohl nach Rückzug der Flut wieder absetzten, sodass niemand zu Schaden kam.


Literatur:

  1. Behre, K.-E. & Kuçan, D. (1999): Neue Untersuchungen am Außendeichsmoor bei Sehestedt (Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet, Band 26, pp. 35-64)
  2. Behre, K.-E. (2005): Das Moor von Sehestedt – Landschaftsgeschichte am östlichen Jadebusen (Oldenburger Forschungen, Band 21). Kurzfassung
  3. Bruns, I.; Bungenstock, F.; Wolters, S. & Freund, H. (2015): Klastische Lagen in eingeschalteten Torfen im niedersächsischen Küstenholozän – Anzeiger für synsedentäre oder postsedentäre Einzelereignisse (Siedlung- und Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet, Band 38, pp. 257-296)

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