Sturmfluten des Mittelalters und Deichbau

An der Weser und der deutschen Nordseeküste war es nicht immer so ruhig und friedlich, wie ihr es gerade beim Paddeln erlebt. Es gab immer wieder schwere Sturmfluten, die zum Teil verheerende Auswirkungen auf Mensch und Landschaft hatten.

Mit dem geologischen Nachweis solcher Extremereignisse aus prähistorischen Zeiten beschäftigten sich eine Reihe von Forschungsarbeiten. Zum Teil sind die Ablagerungen, die eine Sturmflut zurücklässt, schwer von Sedimenten anderer Genese zu unterscheiden. Es müssen differenzierte Analysen durchgeführt und eine Menge Daten erhoben werden, dessen Erläuterung hier den Rahmen sprengen würde. Wer gern tiefer in die Thematik einsteigen möchte, kann sich beispielsweise die Veröffentlichungen von Wartenberg et al. (2013) 6 oder Bruns et al. (2015) 4 anschauen.

Ab dem Hochmittelalter sind Sturmfluten historisch gut überliefert. Die Menschen hatten immer wieder mit dem „Blanken Hans“ zu kämpfen. Auf sein Konto gehen zahlreiche Menschleben und erhebliche Landverluste. Daher begannen die Bewohner der Nordseeküste im 11. Jhd. mit dem Bau einer durchgehenden Deichanlage, die sich dann im 13. Jhd. von Friesland über Butjadingen bis nach Dithmarschen und Nordfriesland erstreckte („Goldener Ring“). Ebenfalls wurden die Unterläufe der Weser und Elbe befestigt. Leider beeindruckte das den „Blanken Hans“ nur wenig:

In Folge einer schweren Sturmflut im 13. Jhd. brach der Jadebusen ein, an dessen Stelle sich im Frühmittelalter lediglich die Mündung der Jade befand ². Er erreichte dabei eine ähnliche Ausdehnung wie heutzutage. Die Quellenlage zur genauen Entstehungszeit des Jadebusens ist etwas unübersichtlich aber es wird vermutet, dass der Einbruch während der Julianenflut von 1219 stattfand ¹.

Küstenlinie im Jade-Weser-Raum heute, um 1520 n. Chr., 800 n. Chr. und um Christi Geburt. Vereinfacht nach Behre (1999)².

Spätere Landeinbrüche sind jedoch besser dokumentiert. Ein prominentes Beispiel ist die Zweite Marcellusflut (oder „Grode Manndränke“, niederdeutsch für „großes Ertrinken“) vom 16.01.1362, die an der gesamten deutschen Nordseeküste viele Menschenopfer und große Landverluste forderte. Die Anzahl Todesopfer wird mit etwa 100.000 angegeben 5. Im Jade-Weser-Raum brachen das Schwarze Brack ein, eine Erweiterung des Jadebusens nach Westen, und verursachte 12200 ha Landverlust 5. Außerdem erweiterte sich die Ahne-Lockfleth-Rinne zu einem Durchbruch zwischen Weser und Jadebusen. Die Rinne befand sich westlich der Weser, wo sie von Brake über Övelgönne nach Nordwesten verlief und bei Stollhamm in den Jadebusen mündete ². Die Rückgewinnung dieser Landverluste begann erst Anfang des 16. Jhd., sodass die Weser fast 200 Jahre lang ein Mündungsdelta besaß und Butjadingen als Insel bestand (siehe Abbildung oben).

Im Verlauf des Mittelalters und in der Neuzeit gab es weitere solcher Sturmfluten, die auch beispielsweise am Dollart oder auf den ostfriesischen Inseln Landverluste mit sich brachten. Es wird vermutet, dass sie durch den vorangegangenen Deichbau begünstigt wurden, da die Marsch hinter den Deichen nun zum Ackerbau verwendet wurden und künstlich entwässert werden mussten. Setzungsprozesse werden durch die starke Entwässerung verstärkt. Dies hatte zur Folge, dass das Hinterland nun zum Teil unterhalb der Meeresspiegels lag und angreifbarer für Sturmfluten war.

Verbesserter Küstenschutz führte jedoch allmählich dazu, dass die Verluste von Menschen, Tieren und Land immer kleiner wurden. Auch im 20. Jhd. gab es eine Reihe schwerer Sturmfluten, die zwar ebenfalls Schäden an den Deichanlagen verursachten, aber glücklicherweise weit glimpflicher für die Bevölkerung verliefen als noch im Mittelalter.

Gerade im Hinblick auf den Klimawandel und den prognostizierten Meeresspiegelanstieg ist es wichtig, die Deiche instand zu halten, weiter zu verstärken und zu erhöhen. Zum Teil werden in die Aufschüttung auch Spundwände eingearbeitet.

Bei der heutigen Deicherweiterung gilt die Faustformel 10 m zusätzliche Breite für einen Meter Erhöhung: Ein Deich mit ca. 10 m Höhe ist also etwa 100 m breit. Dies bedeutet zum einen, dass ein immer größeren Platzbedarf nötig ist, der Naturräume wie Salzwiesen oder Schilfgürtel einengt. Zum anderen müssen etliche Tonnen Baumaterial gewonnen und bewegt werden. Es wird meist Klei aus der Marsch oder den Salzwiesen in sog. Pütten abgebaut. An der Weser wird außerdem versucht, Baggergut aus dem Fluss zu verwenden ³. Beispielsweise wurden für die Verstärkung des Deichs am Werderland (Bremen-Nord) 83.000 Kubikmeter Klei und Sand auf einer Strecke von 1,8 km aufgeschüttet 7. Dieses enorme, zusätzliche Gewicht führt zu einer starken Belastung des Untergrunds. Es kann zu gefährlichen Grundbrüchen kommen, die den Deich instabil machen und abrutschen lassen, wie es beispielsweise 1970 am östlichen Jadebusen geschehen ist ¹. Diese Gefahr besteht insbesondere dort, wo sich weiche Torfe und Klei des Küstenholozäns im Untergrund befinden. Sie sind durch ihren hohen Wassergehalt höheren Setzungsraten unterlegen, als bspw. sandige Ablagerungen.

Der moderne Küstenschutz stellt verschiedenste Arbeitsgruppen aus Wissenschaftlern und Ingenieuren also vor eine große Herausforderung: Beim Deichbau müssen ausreichende Sicherheit und Naturschutz vereint werden.


  1. Behre, K.-E. (2005): Das Moor von Sehestedt – Landschaftsgeschichte am östlichen Jadebusen (Oldenburger Forschungen, Band 21). Kurzfassung
  2. Behre, K.-E. (1999): Die veränderunge der niedersächsischen Küstenlinien in den letzten 3000 Jahren und ihre Ursachen. (Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet Bd. 26, pp. 9-33)
  3. Bremischer Deichverband (2017): Verwendung von Baggergut im Deichbau. Online
  4. Bruns, I.; Bungenstock, F.; Wolters, S. & Freund, H. (2015): Klastische Lagen in eingeschalteten Torfen im niedersächsischen Küstenholozän – Anzeiger für synsedentäre oder postsedentäre Einzelereignisse (Siedlung- und Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet, Band 38, pp. 257-296)
  5. Streif, Hansjörg (1990): Sammlung Geologischer Führer Band 57, Das Ostfriesische Küstengebiet; Inseln, Watten, Marschen. Borntraeger-Verlag. 380 S., 58 Abb., 10 Tab
  6. Wartenberg, W. ; Vött, A.; Freund, H.; Hadler, H.; Frechen, M.; Willershäuser, T.; Schnaidt, S.; Fischer, P.; Obrocki, L. (2013): Evidence of isochronic transgressive surfaces within the Jade Bay tidal flat area, southern German North Sea coast. Holocene event horizons of regional interest. (Zeitschrift für Geomorphologie 57, Supplementband 4, pp. 229-256)
  7. Grunewald, Klaus (2014): Im Werderland wächst der Deich. (Weserkurier vom 15.05.2014, online)

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